Vom »zackigen Otto« der Berliner »goldenen« 20er zum Liebling sozialistischer Musikproduktion: Otto Kermbach und seine Marschkapelle

Otto Kermbach (1882-1960) war ein Trompeter, Komponist und erfolgreicher Kapellenleiter, der das Berliner Musikleben der 1920er bis 1950er entscheidend mitgestaltete. Republikweit wurde er durch seine vielen Auftritte im Rundfunk und etliche Musikproduktionen auf Schellack und später Vinyl bekannt. Kermbach hatte sich auf ein traditionelles Repertoire spezialisiert: Walzer, Märsche, Rheinländer. Diese Präferenz dürfte ihm in der nazistischen Diktatur wenig Ärger bereitet haben, im Gegensatz beispielsweise zu Kollegen, die von der Swingmode infiziert wurden (»vom Swingbazillus gebissen«).

Nach 1945 traf er auch den Geschmack der sozialistischen Machthaber im Osten Deutschlands. Im kulturpolitischen Diskurs dieser Zeit finden sich immer wieder Argumentationen, auf das »Nationale Kulturerbe« abzielend, die dem Walzer und Marsch den Vorzug vor Lindy Hop und Boogie-Woogie gaben. Freilich hatte sich der Walzer im ausgehenden 19. Jahrhundert auch erstmal gegen die Alten durchsetzen müssen, er galt als zu freizügig (junge Frauen im Drehdilirium und dazu hoch fliegende Röcke!).

In der SBZ und frühen DDR kam aber zu dem auch im westlichen Teil Deutschlands vorhandenen Misstrauen älterer Generationen gegenüber neuen Musiktrends noch eine gesunde Portion Amerika-Skepsis hinzu: die USA als »imperialistischer Klassenfeind«, mitsamt ihren »degenerierten« bürgerlichen Moden und Geschmäcker. Aus dieser kulturpolitischen Strategie, aber auch der Popularität Kermbachs über Berlin hinaus, resultieren die immerhin 46 Musikproduktionen, die er mit der staatlichen Schallplattenproduktion der DDR bis 1960 unters sozialistische Volk brachte, allesamt Kompositionen westlichen Ursprungs und somit auch dorthin abzuführenden Tantiemen.

Die hier vorgestellten Titel wurden 1949 produziert, dem Jahr der DDR-Gründung und Ausläufer der Hunger- und Entbehrungsreichen Nachkriegszeit. Zur Ablenkung singen deshalb die damals deutschlandweit sehr bekannten Karnevals- und Operettenstars Erwin Hartung und Jupp Flohr von Flüssen voller Alkohol, Mädchen, die eigentlich zu jung zum Küssen sind und von rauschenden Ballnächten. Also eher nicht sozialistische Propaganda. Aber der Hörer und Musikkonsument im Osten durfte ja nicht den westlichen Medien ausgeliefert werden, also machte die staatliche sozialistische Schallplattenproduktion ihm und ihr entsprechende mediale Angebote.

Kapelle Otto Kermbach, Rheinwein (Manders / Baar), Matrizennummer AM 1274 (1949), Gesang: Jupp Flohr

Kapelle Otto Kermbach, Du darfst ja noch nicht küssen (Lehn / Blecher), Matrizennummer AM 1275 (1949), Gesang: Jupp Flohr

Kapelle Otto Kermbach, Rheinländer-Potpourri I, Matrizennummer AM 1156 (1949), Gesang: Erwin Hartung

Kapelle Otto Kermbach, Rheinländer-Potpourri II, Matrizennummer AM 1157 (1949), Gesang: Erwin Hartung

Die den Digitalisaten zugrundeliegenden Schellackplatten gehören zur Sammlung des Operettenliebhabers und Vaters von Frau Schauseil (Radebeul), die dieses Konvolut dem Archiv für Populäre Musik im Osten geschenkt hat, vielen Dank an dieser Stelle dafür!

Die Kapelle Heinz Kretzschmar – Swing in der frühen DDR

Kapelle Heinz Kretzschmar_Dresden_1947-1948_Foto Koch
Die Kapelle Heinz Kretzschmar in ihren frühen Dresdner Jahren (hier 1947 oder 1948) in Aktion. Rechts Kretzschmar an der Klarinette, links Günter Hörig am Klavier (der spätere Leiter der Dresdner Tanzsinfoniker) und Sänger Fritz Urban an der Gitarre (Foto: Koch).

Heinz Kretzschmar (1926-2015) gründete seine Dresdner Band 1946 als Sextett und erweiterte sie später auf neun Mann. Das Repertoire bestand, wie zu dieser Zeit für angesagte Kapellen üblich, auch aus swingenden Schlagern und Jazzstandards.

Die Kapelle Heinz Kretzschmar besaß schnell Kultstatus unter den jungen Dresdnern. Noch heute erzählen nunmehr über 90-Jährige begeistert von ihren damaligen Konzerterlebnissen, als wäre es erst gestern gewesen.

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Populäre Musikproduktion unter dem Label AMIGA, 1947-1961

Typische Papierhülle einer Schellackplatte, bedruckt mit dem Namen der Plattenfirma »Lied der Zeit« (DDR) und dem Tanz- und Unterhaltungsmusik-Label Amiga (Foto: ArPMiO).

In der DDR existierte in den Anfangsjahren neben dem staatlichen Rundfunk nur ein weiterer Produzent Populärer Musik: Die Firma Lied der Zeit, welche 1953 verstaatlicht und 1954 in VEB Deutsche Schallplatten umbenannt wurde. Die Musikproduktionen wurden vor allem auf Schellack (ab 1956 zum Teil auf Vinyl) gepresst und als Singles (mit zwei Songs) oder EPs (mit vier Songs) veröffentlicht. Langspielplatten mit populären Genres erschienen erst ab 1961.

Durch dieses Monopol der staatlichen Musikproduktion schien der kulturpolitische Einfluss der Partei SED auf die produzierte »Tanz- und Unterhaltungsmusik« gesichert. Doch war dem wirklich so? Handelt es sich bei diesem Repertoire ausschließlich um Exemplare eines »sozialistisch-nationalen« Genres? Oder war nicht der Einfluss des westlichen Musikmarktes größer als gewollt? Musste sich also die staatliche Musikproduktion ebenso wie der Rundfunk auch westlichen Verlagsprodukten öffnen, wollte sie die Bürger der DDR nicht an Rundfunksender aus der BRD, Luxemburg und den USA verlieren? Der hier veröffentlichte Text gibt erste Antworten auf diese Fragen.

Das Tanzorchester Astoria aus Neugersdorf

Das Tanzorchester Astoria aus Neugersdorf, 1959 während einer Konzertreise in Wien.
Das Tanzorchester Astoria (Neugersdorf), 1959 während einer Konzertreise in Wien.
(Foto: Richard Peter jun.)

Das Tanzorchester Astoria wurde 1955 im sächsischen Neugersdorf gegründet. Die Bigband bestand anfangs aus 14 Musikern: der Rhythmusgruppe, fünf Saxofonen (darunter ein Baritonsaxofon), drei Posaunen und drei Trompeten. Kapellenleiter war bis 1965 der Pianist Wolfgang Erhard Israel (1925-1985).

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»Jazz auf!« Eine Geschichte der Freiberger Jazztage

Freiberger Jazzquintett März 1976
Freiberger Jazzquintett März 1976, Foto: Gunther Galinsky

Free Jazz war einmal ein populäres Musikgenre. Zumindest was die DDR und die 1970er bis frühen 1980er betrifft. Jugendliche und junge Erwachsene aller Bildungsschichten pilgerten regelmäßig zu Festivals in die Provinz (das brandenburgische Peitz war der Leuchtturm), um diesen schrillen Klängen und Ausdrucksweisen zu frönen.

Diese ungewöhnliche Allianz zwischen breiterem Publikumsgeschmack und sperrigen Konsumgütern mutet heute seltsam an. Wenn man das Hören und Spielen von Free Jazz als sublime Herrschaftskritik in einer Diktatur interpretiert, ist wahrscheinlich schon einer der Gründe für diese Popularität gefunden.

Auch die Stadt Freiberg ist einer dieser Pilgerorte gewesen und besitzt noch heute etwas Kostbares: Eines der ältesten Jazzfestivals im Osten Deutschlands, welches im April zum 45. Mal stattfindet. Die zeitweilige Dominanz des Free Jazz ist freilich in den letzten Jahrzehnten einer umfassenden Präsentation verschiedenster aktueller Stilarten gewichen. Hier finden Sie Interviews mit ehemaligen Organisatoren dieses auch überregional bedeutenden Festivals, Fotos und weitere Archivalien zur Geschichte.

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Tanzlokale in Dresden, 1945 – 1959

Dresdner Tanzlokale von 1945 bis 1961 (openstreetmap, Simon Bretschneider)
Dresdner Tanzlokale von 1945 bis 1961 (openstreetmap, Simon Bretschneider)

Tanzlokale sind die Orte und Hotspots, an denen sich die Jugend traf und trifft, um sehen und gesehen zu werden. Und natürlich zu tanzen! Damals zu einer Musikkapelle oder Jukebox, heute meist zu einem DJ. Hier finden Sie eine vorläufige Auflistung aller Tanzlokale der Nachkriegszeit in Dresden.

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Tanzkapellen in Dresden, 1945 – 1959

Das Theo-Schumann-Quartett um 1960 (Fotograf unbekannt), Tanzkapellen in Dresden
Das Theo-Schumann-Quartett um 1960 (Fotograf unbekannt)

In der unten stehenden Tabelle finden Sie eine (vorläufige) Auflistung aller im Dresdner Stadtgebiet regelmäßig spielenden Tanzkapellen, für den Zeitraum von 1945 bis 1959. Es handelte sich bis zum jetzigen Kenntnisstand um 135 größere und kleinere Ensembles, die zum Großteil auch aus Dresden stammten.

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